Opa und Enkelin auf der Flucht

NB Kiel In der Presse, shz.de

Premiere bei der Niederdeutschen Bühne: In der Komödie „Honnig in’n Kopp“ nehmen der demente Großvater Amandus und seine Enkeltochter Tilda reißaus vor der Verwandtschaft. Wie schon einst bei seiner Hochzeitsreise treibt es Amandus nach Venedig. – Quelle: https://www.shz.de/23118057 ©2019

Vom 25.03.2019 aus der Redaktion des shz

Er kann’s. Auf der Bühne umschalten von heller Freude auf pure Angst. Hochrotes Gesicht, verquollene Augen, zittrige Hände – Horst Zahn als demenzkranker Witwer Amandus Rosenbach ist einer der beiden Stars der jüngsten Inszenierung bei der Niederdeutschen Bühne Kiel. In der traurig-schönen Komödie „Honnig in’n Kopp“ füllt Sofie Köhler als Enkelin die zweite Hauptrolle mit ähnlich starker emotionaler Hingabe aus. Am Freitagabend war Premiere für das Duo und die neun Mitspieler.

Das Stück wurde vor Jahren als Kino-Verfilmung mit der Paraderolle für Didi Hallervorden bekannt. Es dreht sich um die Verwicklungen, die der tüddelige Opa im ohnehin angespannten Familienleben seines Sohnes (Michael Schmidt) und seiner Schwiegertochter (Claudia Siemsen) anrichtet. Das reicht von der zerdebberten Vase über die Hecke, die Opa nicht um zehn, sondern auf zehn Zentimeter kappt, bis zum versehentlich allzu früh gestarteten Feuerwerk. Und der benachbarten Polizeistreife, die den entlaufenen alten Mann einfängt, entwendet er auch schon mal die Dienstpistole.

Mit viel Gespür für die Details einer wachsenden Alzheimer-Erkrankung – etwa die schräg zugeknöpfte Weste, etwa die Schwierigkeiten bei der Wortfindung – bringen die Kieler Niederdeutschen das Stück auf die Bühne. Nicht weniger als neun Schauspieler, noch dazu meist in verschiedenen Rollen, begleiten die „Flucht“ von Opa und Enkelin nach Venedig. Dorthin führte einst die Hochzeitsreise von Amandus und Margarete, und auf dem Markusplatz ließ eine Taube ihre Verdauungsreste ausgerechnet auf den Kopf der schönen Braut fallen. Das erfahren die Besucher gleich mehrfach. Wir wissen: Alzheimer bedeutet eben auch ständiges Leben in der Vergangenheit, das Gestern wiederholt sich in der Endlosschleife.

Regisseur Karl-Heinz Langer baut für die Verfolgungsjagd zwischen Kieler Förde und Adria komödiantische Szenen ein, die beim Publikum viel Beifall finden. Der junge Jan-Ole Hoffmann etwa verkörpert den Südtiroler Packarbeiter Erdal als plattdeutsch sprechenden „Mimimi“ (Mitarbeiter mit Migrationshintergrund) ebenso lässig und cool wie den anmutigen Gondoliere in Venedig.

Honnig in’n Kopp“ ist kein Märchen, eher ein soziales Road-Movie mit realem Bezug. Natürlich gibt es keine Heilung für den geliebten Opa, Alzheimer fordert seinen fortschreitenden Tribut. Aber immerhin: Die anfangs zerstrittene Familie ist sich nach dem Einfangen der beiden Flüchtlinge einig, dass Amandus nicht ins Heim abgeschoben wird. Trotz „Honnig in’n Kopp“, trotz dieser Gehirnaufweichung, bleibt er zu Hause. Sohn, Schwiegertochter und Enkelin wollen in die Betreuung hineinwachsen.

Von Udo Carstens
©2019

Artikel veröffentlicht: Montag, 25.03.2019 15:41 Uhr
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Foto: Imke Noack